Grundsätzlich sind die physiologischen Abläufe des Singens bei Kindern und Erwachsenen gleich: Der Atem (Ausatmung) setzt die Schwingung der Stimmlippen (oder auch: Stimmfalten, Stimmmuskel) in Gang. Diese Primärschwingung pflanzt sich in die mit Luft gefüllten Resonanzräume fort und wird zum Stimmklang. Der Hauptresonanzraum ist das Ansatzrohr (Vokaltrakt): Der Raum von den Stimmlippen bis zu den Mundlippen, also der Schlundraum (Rachenraum), Mundraum und der Nasenraum. Während des Singens bilden sich dort ständig neue Klangkombinationen in Verbindung mit Artikulation und Tonhöhenwechsel.
Die Unterschiede zur Erwachsenenstimme
- Kinder haben einen begrenzten Tonumfang in die Tiefe und einen fast unbegrenzten in die Höhe.
- Kinderstimmen klingen hell und leicht und ohne Vibrato.
- Bei Kindern ist die Qualität des Singens nicht zu jeder Zeit gleich.
1. Der Kehlkopf von Kindern liegt höher als bei Erwachsenen und senkt sich erst allmählich bis zur Mutation. Dadurch ist das Ansatzrohr kürzer als bei Erwachsenen. Auch die Stimmbänder sind kürzer. Sie wachsen erst in der Mutation zur endgültigen Länge. Anatomisch bedingt können Kinder deshalb nicht so tief wie Erwachsene singen.
2. Kinder haben außerdem wenig Möglichkeiten, die Singstimme ausdrucksstark einzusetzen und geraten leicht ins Schreien. Eine erwachsene Frauenstimme klingt im selben Tonraum voller. Das liegt daran, dass bei Kindern – bedingt durch den kleineren Körper – fast nur Kopfresonanz möglich ist. Erwachsene dagegen haben durch das größere Ansatzrohr und die Verankerung der Stimme im Körper anders Zugriff auf die Gestaltung ihres Stimmklanges.
3. Da Kinder permanent wachsen, verändern sich die an der Stimmgebung beteiligten Muskulaturen und anatomischen Voraussetzungen in kurzer Zeit. Das bedeutet, dass sich Kinder beim Singen körperlich ständig neu einstellen müssen.
Der Sängeratem
Beim Singen ist es erforderlich, die Atmung möglichst weit weg vom Kehlkopf geschehen zu lassen, um die anspruchsvollen Abläufe in seinem Innern nicht mit Atemdruck zu behindern. Hochatmung in den Brust- und Schulterbereich ist deshalb für das Singen nicht geeignet. Die Atemaktivität sollte in der Körpermitte liegen und unter Beteiligung des Zwerchfells (eine kuppelförmige Muskel-Sehnenplatte, die quer im Körper platziert ist und den Brustraum vom Bauchraum trennt) und der Zwischenrippenmuskulatur erfolgen. Dabei ist die Atemmenge nicht entscheidend, sondern die Qualität der Ausatmung, die sich unmittelbar auf die Ästhetik des Gesangstones auswirkt.
Die zwei Hauptschwingungsarten im Kehlkopf
Beim physiologischen Singen (auf natürliche Weise) entsteht durch den Atemdruck eine kombinierte Schwingung der Stimmfalten im Kehlkopf. Zum einen schwingen die Ränder des Muskels, die Stimmbänder, die entsprechend der gesungenen Tonhöhe länger oder kürzer werden. Zum anderen wird ein Teil der Muskelmasse (oder auch bei großer Intensität der gesamte Muskel) in Schwingung versetzt. Die Ausgewogenheit beider Schwingungsarten zueinander wird als angenehmer Stimmklang hörbar.
Es ist auch möglich, dass beide Schwingungsarten isoliert auftreten, was aber klangästhetisch im Allgemeinen nicht erstrebenswert ist. Wir unterscheiden dann zwischen der Randschwingung und der Vollschwingung.
Die Randschwingung
Wenn nur die Ränder der Stimmfalten schwingen, ist der Stimmklang leise, der Ton ohne Substanz und Ausdruck. Dieses „schwebende“ Singen ist über den gesamten Stimmumfang möglich und gelingt, wenn die Stimmfalten locker aneinander liegen und der Atem leicht fließen kann. Viele sprechen dann von einem Singen in der Kopfstimme, da Vibrationen vor allem im Kopfbereich wahrnehmbar sind.
Die Vollschwingung
Wenn der gesamte Stimmmuskel ohne die Ränder schwingt, klingt die Stimme laut, oft mit einem harten Einsatz. Die isolierte Vollschwingung erfordert einen hohen Atemdruck, und zusätzlich müssen die Ränder der Stimmfalten auch einen hohen Kompressionsdruck aushalten. Die Muskulatur ist stark beansprucht und wird schnell müde. (Mit zusätzlicher Randschwingung kann ein ästhetischer Klang entstehen.) Da Vibrationen vor allem im Brustbereich spürbar sind, wird auch von der Bruststimme gesprochen. Ein solches Singen ist auf den unteren Bereich des möglichen Stimmumfanges bei Frauen und Kindern begrenzt und kann besonders bei Kindern zum Stimmschaden führen. Töne oberhalb des ersten Drittels der eingestrichenen Oktave müssen unbedingt mit weniger Muskelmasse gesungen werden, soll die Stimmgesundheit nicht beeinträchtigt werden.
Die gesunde Stimmführung
Eine Stimme klingt natürlich schön, wenn in jedem Ton Randschwingung enthalten ist und sich die Anteile der schwingenden Muskelmasse angepasst zu Tonhöhe, Lautstärke, Vokalbildung und Ausdruck stetig verändern. Die schöne Stimme ist das Ergebnis einer hohen stimmlichen Beweglichkeit; ein Ergebnis, das die reichliche Benutzung der Singstimme in rechter Weise von klein auf mit sich bringen wird.